MYTHOLOGIE


Für größeres Bild in Thumbnails klicken

START

 

 

Ida Szigethys Bilder begleiten mich schon sehr lange, genauer gesagt, seit Anfang der siebziger Jahre, als aus einem ihrer Ölbilder die Vorlage für den Umschlag meines Kinderbuchs 'Ida und Ob' entstand. Bald darauf fand ich mich selbst in einem ihrer Bilder wieder, bahnfahrend, zusammen mit unserem Hund und einem wunderbaren Kelim, den Ida aus Tunesien mitgebracht hatte. Was mich damals schon an ihren Bildern faszinierte, war die Leichtigkeit, um nicht zu sagen Ungeniertheit, mit der sie die Dinge dieser Welt nebeneinander und einander gegenüber stellte. Aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen gerissen, verloren die Dinge an Alltäglichkeit und gewannen an Ansehen, ohne bedeutungsschwer zu erscheinen. Sie fingen an, Geschichten zu erzählen, Geschichten von der Schönheit des Entstandenen und von der Vielfalt der Erscheinungen, in denen so manches Dunkle und Rätselhafte seine Spur hinterlassen hatte.

Und da waren natürlich die Farben, die meinen Blick anzogen und mein Herz erfreuten. Vor allem, wenn ich die Augen fast zur Gänze mit den Wimpern verdeckte, so dass die Konturen sich verwischten, erzeugten sie ein starkes Gefühl der Sympathie mit all den Dingen und Gestalten, die durch Idas Malerei einen Weg gefunden hatten, nebeneinander zu existieren, so als hätten sie immer schon zusammengehört, nur schien es bisher noch niemandem aufgefallen zu sein. Inzwischen sind die Bilder von Ida Szigethy malerischer geworden. Was zu Anfang manchmal noch wie mit Buntstift gezeichnet wirkte, ist nun eindeutig Pinselstrich, und die Farben erzeugen ein noch stärkeres Gefühl der Lebensfreude.

Wer hätte gedacht, dass ein einzelnes Philodendronblatt, wie es in jedem zweiten Großraumbüro, bedeckt von Aktenstaub, vor sich hin kümmert, in die Tropen zurückversetzt, drei so verschiedenen Künstlerinnen wie Frida Kahlo, Dora Maar und Madonna Schutz und Schatten gewähren könnte, ganz abgesehen von Tiger, Gecko und Papagei, rotglänzenden Fröschen, Kolibris, Marienkäfern und Schmetterlingen, die sich auf oder unter ihm vergnügen. Dazu deutet die Federhaube eines Kakadus auf einen Vulkan, der zu rauchen begonnen hat, während sein Schwanz auf die Rückenansicht eines Buddhas weist, der über Reistrassen thront. Auf einem anderen Bild erkenne ich den alten Cernunnus wieder, den keltischen Gott mit dem Hirschgeweih, das diesmal aus Farn ist, einem Geweihfarn, hinter dem der Mond aufgeht. Cernunnus selbst tanzt in seinem Flechtengewand auf rotglühenden Moospolstern, in die goldene Flocken nieseln. Das wäre eine der vielen möglichen Geschichten, die sich von diesem Bild ablesen lassen. Eine weitere würde von den Ärmelhöhlen und dem zweiten Mond erzählen, aber auch von einer goldbestickten Nacht.

Und noch immer geht es um das Nebeneinander von Disparatem, das sich in seinen neuen Zusammenhang fügt, als wäre es von einemZauberstab in ein Bild – womöglich ein Sternbild – versetzt und bezeugte so die Einheit der Welt, wie die Mystiker aller Religionen sie immer schon statuiert haben.       Barbara Frischmuth, Altaussee, 2005